Technik

Forscher machen Hydrogel zum Halbleiter

Material für künftige bioelektronische Implantate und Bioelektronik

Hydrogel-Halbleiter
Dieses blaue Gel ist ein neu entwickelter Hydrogel-Halbleiter. © John Zich/ University of Chicago

Gegensätze vereint: US-Forscher haben erstmals einen Hydrogel-Halbleiter entwickelt – ein wichtiger Fortschritt für die Bioelektronik. Denn der neuartige Halbleiter ist dehnbar, flexibel und bioverträglich und kann problemlos mit lebendem Gewebe interagieren, wie das Team in „Science“ berichtet. Möglich wurde dieser erste Halbleiter in Hydrogel-Form erst durch eine raffinierte Methode, die die wasserabweisende Natur der gängigen Halbleitermaterialien „austrickst“.

Der Trend geht zur Bioelektronik: Implantate und tragbare Elektronik, die direkt auf unseren Geweben und Organen aufliegen oder sogar in sie integriert sind. Dafür müssen die Komponenten dieser Elektronik allerdings bioverträglich und möglichst dehnbar und flexibel sein. Möglich wird dies zum Teil bereits durch leitfähige Hydrogele – stark quellfähige, flexible Gerüste aus vernetzten Polymeren.

„Hydrogele sind weich und ähnlich wasserhaltig wie lebendes Gewebe“, erklärt Seniorautor Sihong Wang von der University of Chicago. „Außerdem sind sie porös, was die effiziente Diffusion aller Arten von Nährstoffen und Medikamenten erlaubt.“ Für die Bioelektronik eignen sich leitfähige Hydrogele aber bisher nur bedingt. Denn ihnen fehlt eine entscheidende Eigenschaft: Sie sind keine Halbleiter.

So entsteht der neuartige Hydrogel-Halbleiter.© University of Chicago/ Pritzker School of Molecular Engineering

Erst ein Organo-Gel…

Doch das hat sich jetzt geändert: Das Team um Wang hat erstmals ein Material entwickelt, das Hydrogel und Halbleiter zugleich ist. „Es handelt sich nicht bloß um ein Hydrogel, das mit einem Halbleiter kombiniert ist, sondern um ein Material, das eine Hydrogelstruktur, aber Halbleiter-Eigenschaften besitzt“, erklärt Wang. Bisher hatten Forschende vergeblich versucht, dies zu kombinieren. Das Problem: Organische Halbleiter auf Polymerbasis sind wasserabweisend und ließen sich deshalb nicht nahtlos in die wässrigen Hydrogele integrieren.

Dieses Problem haben Wang und sein Team nun gelöst – durch einen „Trick“. Dafür benötigten sie zwei Ausgangssubstanzen – einen Polymer-Halbleiter mit hydrophilen Seitenketten und ein gängiges Hydrogel-bildendes Monomer in Form der Acrylsäure (C3H4O2). Diese Komponenten lösten sie dann im organischen Lösungsmittel Dimethylsulfoxid (DMSO), zusammen mit zwei weiteren Zusätzen. Eine Bestrahlung mit UV-Licht bewirkte anschließend die Polymerisierung und Vernetzung der Zutaten.

…dann die Umwandlung zum Hydrogel-Halbleiter

Durch diesen Prozess entsteht eine gelartige Substanz, aber noch kein Hydrogel. Denn noch waren die Poren und freien Bindungsstellen dieses „Organo-Gels“ durch das organische Lösungsmittel belegt – für die Nutzung in biologischen Geweben wäre dies ungeeignet. „Um das Material zu einem Hydrogel zu machen, haben wir das Ganze dann ins Wasser gelegt“, berichtet Erstautor Dai. Weil das DMSO auch in Wasser löslich ist, diffundierte es allmählich aus dem Gel hinaus und wurde durch Wassermoleküle ersetzt.

Hydrogel-Halbleiter
Das Ergebnis ist ein weiches, blaues Gel, das bioverträglich ist und dennoch wie ein Halbleiter funktioniert. © John Zich/ University of Chicago

Das Resultat ist ein echtes Hydrogel – ein blaues, wasserhaltiges Material, das von der Konsistenz her Gelatine ähnelt, aber Halbleitereigenschaften besitzt. Wie das Team ermittelte, ist der Hydrogel-Halbleiter zwei bis dreimal leichter verformbar als gängige Polymerhalbleiter. Seine Weichheit und Flexibilität entsprechen damit der selbst sensibler Gewebe wie dem Gehirn, dem Darm oder dem Herzen. Zudem ist das Material um bis zu 150 Prozent dehnbar.

„Gleichzeitig zeigt der Hydrogel-Halbleiter eine Ladungsträger-Mobilität von bis zu 1,4 Quadratzentimeter pro Volt und Sekunde'“, berichten Dai und seine Kollegen. Das reicht für bioelektrische Anwendungen wie beispielsweise Sensoren, lichtgesteuerte Wundauflagen oder auch Implantate.

Biokompatibel und immunverträglich

Und noch einen Vorteil hat der neue Hydrogel-Halbleiter, wie ein Test mit Mäusen demonstrierte. Dafür pflanzte das Forschungsteam den Tieren Testimplantate unter die Haut, die mit normalen Polymer-Halbleitern, mit den Hydrogel-Halbleiter oder gar nicht beschichtet waren. Im Verlauf von vier Wochen zeigte sich eine deutlich geringere Immunreaktion bei dem Hydrogel-Implantat. Die durch die Abstoßungsreaktion verursachte Entzündung fiel deutlich schwächer aus, wie das Team berichtet.

Nach Ansicht von Dai und seinen Kollegen bietet der neue Hydrogel-Halbleiter damit ganz neue Möglichkeiten, Elektronik in biologische Gewebe zu integrieren. Die Synergie vom Hydrogel und Halbleiter biete gegenüber gängiger Bioelektronik deutliche Vorteile in der Verträglichkeit. „Es ist ein klarer Fall von eins plus eins ergibt mehr als zwei“, sagt Wang. Das Team hat seinen Hydrogel-Halbleiter bereits patentiert und arbeitet jetzt an einer Kommerzialisierung. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adp9314)

Quelle: Science, University of Chicago

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